Interview mit Biobauer Jürgen Becker

Jürgen Becker

Jürgen Becker ist Eigentümer des gleichnamigen Hof Becker in Hennef am Fuße des Siebengebirges. Seit dem Jahr 2006 gehört der Betrieb zum Demeter-Verband. Schon seit Anfang der 90er liefert er sämtliches Getreide für die Brote und Backwaren der DLS Vollkorn-Mühlenbäckerei. David Lee Schlenker sprach mit seinem langjährigen Geschäftspartner über dessen Erfahrungen mit der konventionellen und biologischen Landwirtschaft, über seine Verantwortung als Landwirt und seine Erwartungen an die Zukunft.

Wie bist du zur Landwirtschaft gekommen?

Das ergab sich quasi von allein. Ich bin ja auf einem Hof aufgewachsen. Und nach meinem Schulabschluss ging auf einmal alles ganz schnell. Eigentlich wollte ich danach ein paar Tage Urlaub machen und im April mit der Lehre anfangen. Aber als ich nach Hause kam, sagte mein Vater nur: „Junge, geh raus und zieh dich um!“ So war das. Damals gab es noch nicht einmal ein Dach auf dem Traktor. Wenn es anfing zu regnen, brachte mir mein Vater einen Jutesack. Den legte ich auf die Knie und dann ging es weiter. So einen Komfort wie heute, mit klimatisierter Kabine und so, das gab es ja alles noch nicht. Aber ich wollte trotzdem schon immer Landwirt werden. Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen Jetzt bin ich eigentlich schon im Rentenalter und es macht mir immer noch Spaß.

Wie sahen deine ersten Jahre als selbständiger Landwirt aus?

Die begannen 1968 als mein Vater starb und waren ziemlich hart. Da war ich 23. Ich hatte aber bereits meine Frau kennengelernt und die Zukunft sah ganz gut aus. Wir hatten 33 Milchkühe in Sieglar, 16 in Dammbroich und noch Jungvieh zur Mast in Rott. Dazu kamen über 100 Hektar Feldfläche. Das war für die damalige Zeit ziemlich viel. Um die musste ich mich nach dem Melken kümmern. Und wenn die anderen abends in die Disco gingen, ging ich zur letzten Melkrunde wieder in den Kuhstall. Für die Familie, zu der später zwei Kinder kamen, blieb da natürlich kaum Zeit.

Du hast mit konventioneller Landwirtschaft begonnen. Wie war das für dich?

Als junger Bauer habe ich das anfangs überhaupt nicht in Frage gestellt. Da wollte ich den Betrieb einfach nur modernisieren und vergrößern, um gut davon leben zu können. Das ging in den 70er Jahren auch ganz gut. Damals bekam ich für 100 Kilogramm konventionellen Weizen 50 Mark, also 25 Euro. Bald gingen die Preise aber immer weiter runter. In meinen letzten Jahren als konventioneller Landwirt habe ich noch 40 Mark bekommen, wenn es gut lief. Heute gibt es sogar nur noch 15 Euro.

Und welche Rolle spielte die Chemie?

Eine ganz große. Schon 1969 habe ich auf meinem Hof stolz die Spritze eingeführt. Der Vertreter von Bayer hatte mir erklärt, wie man mit MCPA Unkraut ganz einfach wegspritzen kann. Dafür kamen dann aber bald neue Sorten von Unkräutern hoch. Also entwickelten die Chemiefirmen immer neue Präparate, die wir Landwirte notgedrungen kaufen mussten. Ende der 80er Jahre war es so weit gekommen, dass ich zehnmal pro Saison mit der Spritze durch die Felder gefahren bin. Dazu ein bisschen Dünger und noch was gegen die Läuse und Käfer. Das brachte mir einen Ertrag von 70 bis 80 Dezitonnen. Dass man mit der ganzen Chemie auch die Marienkäfer totspritzt, darüber dachte damals keiner nach.

Wann und warum hast du dich entschlossen, auf Bio umzustellen?

Irgendwann hat mich diese ganze Situation mit immer mehr Chemie, immer höheren Erträgen, für immer weniger Geld und auf Kosten von allem anderen um mich herum nicht mehr in Ruhe schlafen lassen. Außerdem bekam ich Kopfschmerzen durch das Spritzen. Schon 1988 habe ich mit dem Gedanken gespielt, auf Bio umzustellen. Zuerst habe ich mir auf einem Demeter-Hof alles genau zeigen und erklären lassen. Das war aber alles unglaublich aufwändig und kompliziert. Also habe ich mich im ersten Schritt nur dem ANOG-Verband angeschlossen. ANOG stand für Arbeitsgemeinschaft für naturnahen Obst-, Gemüse- und Feldfruchtanbau. Die sind dann Anfang 2000 zu Naturland gestoßen.

Wie sahen deine ersten Schritte als Biobauer aus?

Als erstes habe ich mich mit zwei befreundeten Landwirten zusammengetan, die ich von der Umstellung auf Bio überzeugt hatte. Unsere Vorstellungen in die Praxis umzusetzen, war damals sehr schwierig. Es gab ja weit und breit niemanden, den man fragen konnte, wie die Umstellung auf Bio funktioniert. Aber zusammen haben wir uns alles nach und nach selber beigebracht. 1990 gründeten wir mit einigen anderen Erzeugern und dem Universitätsgut Wiesengut die Höfegemeinschaft Siebengebirge. Als die an den Start ging, gab es ein richtiges Event mit Presse und allem Drum und Dran. Das sorgte für ordentliche Aufregung unter den Kollegen, die bei der konventionellen Landwirtschaft bleiben wollten. Zu Anfang war das mit der Höfegemeinschaft und dem gemeinsamen Handel und Marketing eine gute Idee. Aber irgendwann hatte ich dann selber so viele Kontakte, an die ich verkaufen konnte. So bin ich nach fünf Jahren wieder aus der Höfegemeinschaft ausgestiegen

Wie funktioniert ökologische Landwirtschaft bei dir heute?

Wir hatten früher beispielsweise einen Dreijahreszyklus im Fruchtwechsel mit Rüben, Weizen, Gerste oder Roggen und dann wieder Rüben. Heute haben wir einen fünfjährigen Fruchtwechsel: Wir fangen mit Ackerbohnen an, danach kommen Weizen, Roggen, Klee oder eine andere Zwischenfrucht, dann Hafer und Dinkel bis wir wieder bei den Ackerbohnen sind. Dadurch nutzen wir das Stickstoffangebot der Pflanzen optimal aus. Ansonsten düngen wir mit Kompost und Stallmist. Dazu haben wir Futter-Mist-Kooperationen mit anderen Biobetrieben, z. B. Hühnerställen, die unser Getreide verfüttern und von denen wir im Gegenzug Hühnermist bekommen.

Überhaupt ist der Boden mein Partner. Den muss ich hegen und pflegen. Genauso wie die Würmer, die in ihm leben. Die sind meine Gärtner und bekommen organisches Wasser und Aufwuchs, also die Reste von der Ernte, Stroh, Zwischenfrüchte. Wir haben einen sehr guten Boden. Das zeigen auch die regelmäßigen Bodenuntersuchungen, die wir machen lassen. Unsere Humusgehälter liegen zwischen 2,5 und 4 Prozent. Der Durchschnitt in Nordrhein-Westfalen liegt bei nur 0,3 Prozent.

Auch die Probleme mit schädlichen Insekten und Unkräutern gehen wir heute ganz anders an. Die Sache mit den Läusen hatte sich nach zwei bis drei Jahren von ganz allein geregelt, weil wir dann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Schädlingen und Nützlingen hatten. Und gegen die Unkräuter gehen wir mechanisch vor. Dazu fahren wir mit einem Unkrautstriegel so oft es nötig ist durchs Feld.

Insgesamt lernen wir immer weiter, wie wir am besten arbeiten, ohne in den natürlichen Kreislauf einzugreifen. Heute pflügen wir zum Beispiel die Ackerbohnen nicht mehr im Frühjahr unter, sondern nur im Herbst. Dann haben wir später weniger Unkräuter.

Wichtig ist auch, dass wir unser eigenes Saatgut haben. Darum kümmert sich mein Schwiegersohn Bernd, der seit Mitte der 90er Jahre bei mir ist. Seit 1995 ist er auch Mitgesellschafter. Bei drei Sorten Weizen, dazu Roggen, Schilfroggen, Dinkel und Hafer hat Bernd alle Hände voll zu tun.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Für die Zukunft meines Betriebs geht es für mich nicht um wachsen oder weichen. Trotzdem werden wir, solange der Markt da ist, noch Flächen dazu bekommen. Im letzten Jahr waren das vier Hektar, die wir innerhalb der nächsten drei Jahre nach den Vorschriften vom Demeter-Verband auf Bio umstellen werden. Dann erzeugen wir Biogetreide auf etwas über 200 Hektar.

Alles andere entscheidet der Verbraucher: Wir Erzeuger können noch so viel Bio anbieten. Das nützt nur etwas, wenn die Verbraucher bereit sind, für vernünftige Lebensmittel auch etwas mehr Geld auszugeben. Die Zukunft von Bio liegt also letztendlich in den Händen der Verbraucher.